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Einführende, nicht sehr erfreuliche Betrachtung Einer
der großen tschechischen Komponisten Josef Bohuslav Foerster schrieb an
der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, ein Komponist sei einem
Blumenmädchen ähnlich, das auf der Straße seine Produkte anbietet: Es
bietet den Menschen Schönheit und Freude an, die meisten eilen aber
achtlos an den Blumen vorüber und die verwelken schließlich. Ich
befürchte, heute sind die Umstände für einen Komponisten sog. ernster oder
klassischer Musik noch schlimmer. Lassen wir die Frage, ob ein solcher
Komponist nur Schönheit und Freude vermittelt, einstweilen dahin gestellt
(ich meine nämlich, dass das meistens nicht der Fall ist). In welcher
Situation befindet er sich also?
Umgeben von allgegenwärtigem Pop, der sich mit einer recht niedrig
liegenden künstlerischen Latte, mit Geschäftemacherei und Desinteresse an
tieferem Ausdruck auszeichnet, fristet die klassische Musik in kleinen,
ärmlichen Vereinen am Rande des Publikumsinteresses ein kümmerliches
Dasein. Zahlreiche professionell ausgebildete Komponisten haben schon
resigniert und schreiben nur noch sehr wenig oder überhaupt nicht mehr.
Andere kämpfen weiterhin mit dem gegebenen Zustand und bemühen sich um
einen Durchbruch. Die Frage, warum die neu komponierte klassische Musik in
diese missliche Lage geraten ist, stellt erstaunlicherweise kaum jemand.
Einige Komponisten - es sind meistens jene, die ihr Schaffen als
avantgardistisch bezeichnen - sind trotz all dieser unerfreulichen
Erscheinungen, vollkommen von sich überzeugt und erklären das Desinteresse
an ihren Werken mit der Unaufgeklärtheit des Publikums, mit dem
Konservativismus der Interpreten, die immer wieder nur ein klassisches
Repertoire spielen, und eventuell mit den politischen Verhältnissen sowohl
der Vergangenheit als auch der Gegenwart. Sie verhalten sich dabei
gegenüber dem Publikum, das das gesamte klassische Repertoire von
Palestrina bis Britten besucht, recht abschätzig.
Ich jedoch halte dieses Publikum für ausschlaggebend. Die regelmäßigen
Besucher von Sinfonie- und Kammerkonzerten, die Käufer von CDs mit
klassischer Musik, die Hörer von Rundfunk- und Fernsehsendern, die der
ernsten Kunst vorbehalten sind, all sie erkennen dank der erworbenen
Hörerfahrungen mit Sicherheit auch ohne fachliche Bildung die Qualität
eines Kunstwerks. Für mich sind sie wahrhafte Kenner, weder Snobs, wie
viele Anhänger der Popkunst behaupten, noch unverbesserliche Konservative,
wie im Gegenteil die Anhänger der „avantgardistischen" Richtungen
unterstellen.
Für ein solches Publikum wollte ich immer schon komponieren. Als Hörer und
fleißiger Student aller möglichen Partituren des gesamten Repertoires der
europäischen Musik und dank der so erworbenen Erfahrungen kann ich so
manches vergleichen. Und so gebe ich heute den Hörern ganz und gar recht,
die die besten Werke von Mozart, Bach, Beethoven usw., usw. mögen und
weniger häufig die Kompositionen des 20. Jahrhunderts aufsuchen. Diese
Werke der zuerst Genannten sind nämlich bravouröser, vollkommener und
einfallsreicher bis ins letzte Detail. Sie haben einen klaren
musikalischen Inhalt, jede Ebene befindet sich an der richtigen Stelle
.... Was für ein Unterschied zu dieser uferlosen, in Wesentlichen
improvisierenden, oft unangenehm anzuhörenden Tonmasse undeutlichen
musikalischen Gehalts zahlreicher Werke der Gegenwartsproduktion!
Das 20. Jahrhundert hat in der Kunst unaufhörlich experimentiert. Die
distinguierte Suche nach neuen Betrachtungsweisen der Musiksprache, aber
auch der Klamauk, der das Publikum veralbert, die andauernde Jagd nach
Neuem, ohne das Gefundene allmählich zu konstituieren, eine gewisse
Überheblichkeit der Schöpfer dieser Musik und die mediale Beeinflussung
der Öffentlichkeit zugunsten der zwar neuen, jedoch im Wesentlichen oft
recht seichten, bzw. nicht bis in alle Tiefen vollendeten Musik durch
Schreiber, denen es hin und wieder selbst an Talent mangelt, Musik zu
verstehen, hat nun nach Jahren Früchte gezeitigt: Immer weniger Hörer sind
bereit, dieser experimentellen Musik zu lauschen. Das Misstrauen hat sich
schließlich auf die gesamte neu komponierte Musik übertragen. Auch auf
jene, die etwas mit verständlicher, lesbarer Sprache aussagen möchte.
Die Frage nach der verwendeten Musiksprache war über eine wesentliche
Strecke meiner professionellen Komponistenlaufbahn das am meisten
Diskutierte. Wie aus dem kurzen, meinen schöpferischen Wertegang
beschreibenden Lebenslauf hervorgeht, habe ich aufrichtig versucht, mich
mit dieser Frage auseinander zu setzen. Der Zwiespalt zwischen meinem
innersten „klassischen" Musikempfinden und der Forderung eines bestimmten
Teils der Fachöffentlichkeit nach einer „Modernisierung" meiner
Musiksprache war enorm. Ich habe im Bemühen um eine Synthese der
Grundlagen meiner kompositorischen Denkweise mit den Anregungen der Musica
Nova im Wesentlichen keine Richtung der neuesten Musik gemieden. Von
manchem habe ich mehr, von manchem weniger, von manchen überhaupt nichts
angenommen .... Ich sah in meinen Bestrebungen eine gewisse Analogie
dessen, was zum Beispiel D. Schostakowitsch in seinen späteren
Kompositionen (denen ich übrigens mit Begeisterung lauschte) aufzeigte.
Ich wusste natürlich, dass mir meine Haltung viele, für Komponisten
bedeutende, angesehene Podien verschließt. Belohnung dafür war eine Reihe
wundervoller Aufführungen bei Konzerten klassischer Musik, die Zuneigung
der Interpreten, die ich als maßgeblichste Berufskollegen ansehe, und die
liebenswürdige Aufnahme beim Publikum.
Heut mache ich mir überhaupt keine Sorgen mehr darüber, wie jemand meine
Musik bezüglich des verwendeten Stils beurteilt. Ich selbst halte die
Meinung, die einzig wahre und mögliche Stilrichtung für zeitgenössische
Komponisten sei die Linie Schönberg - Webern - Darmstadt - usw. für
wirklichkeitsfremd und orthodox intolerant. Wie und wo sollte man bei
einer solchen Betrachtungsweise den immer häufiger aufgeführten
Schostakowitsch, Poulenc, Britten, Gershwin, Bernstein u. a. einstufen?
Beweist nicht gerade die Tatsache der immer zahlreicheren Aufführungen
dieser Autoren, dass die Gültigkeit der verfochtenen Theorie von der
„einzig richtigen avantgardistischen Linie" in der Praxis nicht bestätigt
wird? Es gibt Bücher, Musikanthologien, CD-Alben, wo die oben genannten
Poulenc, Gershwin, Bernstein, ihnen ähnliche Komponisten und ihre jüngeren
Nachfolger nur am Rand oder überhaupt nicht erwähnt werden. Gelegentlich
werden sie geringschätzig als uninteressante, problematische,
retardierende und möglicherweise für die weitere Entwicklung der Musik
schädliche Komponisten abgetan.
Auch ich habe bei meinem Schaffen mit diesen Attributen Bekanntschaft
gemacht und behaupte nicht, dass mir das immer lieb war. Schließlich bin
ich diesbezüglich zu einer gewissen Gelassenheit gelangt. In meinem
Requiem von 1991 habe ich als Pointe einen Satz mit biblischen Sprüchen
verwendet. „Wirf dein Hab und Gut ins Meer; trotzdem kann es sein, dass du
es nach langer Zeit wiederfindest. Nutze alle Möglichkeiten, die sich dir
bieten. Über alles was wir tun wird Gott Gericht halten." Ich verstehe das
als Ausdruck einer Haltung: Hier breite ich meine Gedanken, meine
musikalischen Bilder aus und glaube, dass sich wenigstens ein paar Hirne
und Herzen finden werden, die sich aufrichtig bemühen, zu verstehen, was
ich zu sagen beabsichtige und warum ich das gerade so gemacht habe.
OK
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